Auf allgemeinster Ebene können die Auswirkungen der Globalisierung als eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse zu Gunsten der mobileren Elemente in der Gesellschaft gewertet werden. Mobilität verschafft den einzelnen Akteuren eine weitere Option, nämlich die Möglichkeit den jeweiligen Ort zu verlassen (Exit). Dies bedeutet, dass sich die Angewiesenheit auf andere gesellschaftliche Kräfte verringert und entsprechend die Verhandlungsmacht wächst.
Mit Ausnahme der hoch qualifizierten Arbeitskräfte, die sich bei entsprechender Mobilität ihre am Markt knappen Fähigkeiten gut bezahlen lassen können, wird die Masse der Bevölkerung gleich doppelt negativ von dieser Kräfteverschiebung betroffen. Zum einen als Lohnabhängige, denn ihre familiären Einbindungen benachteiligen sie mobilitätstechnisch gegenüber dem Kapital. Ihnen können lohn- und arbeitszeitpolitische Zugeständnisse abgerungen werden. Zum anderen als Bürgerinnen und Bürger territorialer Gemeinwesen, die per Definition nicht mobil sind und somit der Exit-Optionen wenig entgegenhalten können. Als solche steigt ihr Anteil an der Steuerlast bei gleichzeitigen staatlichen Leistungskürzungen.
Nur durch Absprachen zwischen den jeweils weniger mobilen Kräften kann dieser Kräfteverschiebung begegnet, ein Gegeneinanderausspielen verhindert werden. Somit lautet die allgemeinste Antwort auf die Machtverschiebung im Zuge der Globalisierung: "Proletarier aller Länder vereinigt euch!".
Der Umsetzung dieses Imperativs des kommunistischen Manifests von 1848 stehen jedoch nicht nur die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensumstände der Lohnabhängigen weltweit entgegen, sondern auch die konkreten vielfältigen Schattierungen der Globalisierung, die auf der obig gewählten allgemeinsten Ebene bewusst ausgeblendet wurden. Sie sorgen für Interessenunterschiede oder gar Interessengegensätze. Diese Schattierungen ergeben sich vor allem aus der weltmarktbedingten Erhöhung der Arbeitsproduktivität.
Eine Vertiefung der internationalen Arbeitsteilung und damit der jeweiligen Spezialisierung sowie der sich daraus sich ergebende Wettbewerbsdruck steigert die Arbeitsproduktivität. Steigende Arbeitsproduktivität ist die Quelle materiellen Reichtums, sie erhöht Verteilungsspielräume. Wem diese Spielräume jedoch zugute kommen, hängt in komplexer Weise von Macht und Knappheitsgraden ab. Trotz rasanter Industrialisierung hat die Masse des globalen Südens einkommensmäßig noch lange keinen Anschluss an den Norden gefunden.
Zum einen ist dies Folge des Angebotsschocks an Arbeitskräften auf dem Weltmarkt durch die Öffnung zuerst von China, dann aller Gebiete unter ehemals sowjetischem Einfluss und schließlich Indiens gegenüber dem Weltmarkt. Allein in Deutschland setzte die Währungsunion auf einen Schlag ca. 5 Millionen Arbeitskräfte frei. Somit wuchs der weltweite Pool an Arbeitskräften nicht nur durch die klassische Freisetzung der in der traditionellen Landwirtschaft gebundenen Arbeitskräfte, sondern durch die Einbringung bisher abgeschotteter industrieller Belegschaften in den Weltmarkt. Entsprechend erhöhte sich die Konkurrenz nicht nur für gering qualifizierte Arbeitskräfte.
Zum anderen nutzen die alten kapitalistischen Industrieländer ihre Finanzmacht, ihr in Markenartikel eingebrachtes kulturelles Kapital ("branding"), ihren Wissensvorsprung und ihre Regelsetzungsmacht in den weltwirtschaftlichen Foren zur Sicherung des Wohlstandsgefälles aus. Häufig werden die unfairen Zölle auf verarbeitete Agrarprodukte kritisiert, doch für die Abstandhaltung ungleich wichtiger dürfte der weltweite Patentschutz sein, der den Wissensvorsprung auf Jahre festschreibt.
Freilich gelingt einigen Regionen des Südens das Aufholen zumindest in den unteren und mittleren Wertschöpfungssegmenten. Zugleich wird die Bevölkerung des Nordens zunehmend weniger an dem aus dem Vorsprung gewonnenen Reichtum beteiligt. Dies ist besonders augenfällig in den angelsächsischen Ländern, aber auch in Deutschland weitet sich mittlerweile die Einkommensschere.
Für die Entwicklung grenzüberschreitender gewerkschaftlicher Solidarität stellen diese Trends eine große Herausforderung dar. Soweit Lohnniveauunterschiede dank eines weiterhin bestehenden Produktivitätsgefälle aufrechterhalten werden können, besteht für die Gewerkschaften des Nordens kaum ein Anreiz, ins Gespräch mit den Beschäftigten des globalen Südens zukommen.
Wird zudem das Produktivitätsgefälle politisch beispielsweise durch Patente gestützt, besteht sogar ein potenzieller Interessenkonflikt. Entscheiden sich Gewerkschaften für die Ausdehnung bzw. Verteidigung des Patentschutzes, dann stellen sie sich gegen Bestrebungen im Süden, bessere Positionen innerhalb der Wertschöpfungsketten zu erringen. Bündnispolitisch ist dies nicht unproblematisch.
Insofern sich jedoch die Arbeitsproduktivitäten angleichen, geraten die gewerkschaftlichen Mitglieder in eine strukturelle Konkurrenz zu ausländischen Belegschaften. Wird erst dann das Gespräch gesucht, kann leicht der Appell an gewerkschaftliche Solidarität ungehört verpuffen.
Die Möglichkeit, Produktivität durch arbeitsorganisatorische Veränderungen zu Lasten der Beschäftigten (z. B. durch längere Maschinenlaufzeiten) zu erhöhen, versetzt bereits die Belegschaften des Nordens in eine strukturelle Konkurrenz zu einander. Solche Veränderungen kommen einer Aufgabe bisheriger arbeitspolitischer Errungenschaften gleich, die den Druck auf jene Belegschaften erhöht, die solche organisatorischen Maßnahmen noch nicht akzeptiert haben. Wenn auch jene dem Druck erlegen sind, steht eine neue Runde von tarifpolitischen Zugeständnissen an.
Während die Gefahr einer solchen Abwärtsspirale seit längerem gesehen wird, wurde erst im Zuge der Eurokrise die Auswirkungen der deutschen Exportweltmeisterstrategie zum Gespräch. Zu DM-Zeiten konnten sich die westeuropäischen Nachbarländer noch durch Abwertung ihrer Währungen ein Stück weit der deutschen Konkurrenz erwehren, doch im Zeitalter des Euro sind sie dieser Konkurrenz voll ausgesetzt. Wenn nun gerade jenen Unternehmen, die am erfolgreichsten ausländische Märkte bedienen, tarifliche Zugeständnisse gewährt werden, dann bleibt dies natürlich nicht folgenlos für die Beschäftigten in den weniger erfolgreichen Unternehmen.
Der Druck wird zudem von diesen Unternehmen nicht nur auf deren Belegschaften abgewälzt, sondern auch auf die Zulieferer und die Allgemeinheit als solcher. Die Bereitschaft, die bisherige Steuerlast zu tragen, wird sinken. Mit anderen Worten, der Gewinn von Exportmeisterschaften mittels Verzicht auf bisherige tarifpolitische Errungenschaften wirkt sich auf die Arbeitsbedingungen in anderen Ländern aus.
Auch dies ist natürlich grenzüberschreitender Solidarität abträglich. Da der gesamtwirtschaftliche Nutzen der übersteigerten Exportorientierung der deutschen Wirtschaft immer fragwürdiger wird, besteht vielleicht derzeit ein günstiger Moment, über diesen Aspekt des Modell Deutschlands neu nachzudenken.
Ich denke: Gesunde Solidarität ist die eine Seite. Gesunder Konkurrenzkampf die andere. Es gab schon vor dem Fall der Mauer harte Konkurrenzkämpfe, innerhalb Deutschlands (zu vergleichbaren Wirtschafts- & Arbeitsbedingungen)) und Global mit Unternehmen in z. B. Japan, Brasilien, Mexiko, Korea, usw. (zu umnterschiedlichen Wirtschafts- & Arbeitsbedingungen). Aus meiner Sicht hat der Fall der Mauer und die Auflösung des Warschauer Paktes eine bestehende Entwicklung 1. beschleunigt und 2. die Zahl der Konkurrenten schlagartig erhöht. Es scheint mir logisch zu sein, dass Nationen deren Spezialität in der Entwicklung und Produktion von Produktionsmaschinen/Anlagen von einer solchen Entwicklung profitieren, wärend nur verarbeitende industrien durch die geringen Lohn- und sonstigen Kosten der neuen Konkurrenten in Schwierigkeiten kommen. Diese verstärken sich in dem Maße wie dort auch moderne Produktionsanlagen entstehen, die Lohn- und sonstigen Kosten aber nur langsam steigen. Ein anderes Problem liegt im Bereich des Kapitalmarktes. Auch dieser steht im internationalen Wettbewerb. Die Bankenfusionen lassen das jedenfall einem Laien wie mir vermuten. Einen weiteren Punkt sehe ich in den Gewinnen der börsennotierten Unternehmen. Es wird mehr Geld eingenommen als, aus Unternehmersicht, sinnvoll ausgegeben werden kann. Ich glaube das hängt überwiegend nicht mit den maßvollen Tariferhöhungen bei uns, sondern mit den geringen Löhnen in den neuen Konkurrenzländern zusammen. Würden die Gewinne bei uns gerecht auf alle am Gewinn Beteiigten verteilt werden, hätten die Kolleginnen und Kollegen in den Konkurrenzländern auch (vom Tourismus abgesehen) nichts davon. Aber gerade dort sind die größten Wachstumspotentiale. Das heißt für mich, der Wohstand dort muss gefördert werden. Es muss dort eine weltwirtschaftliche Balance zwischen steigender Produktivität und Kostenentwicklung (Lohn- & sonstige Kostensteigerungen) hergestellt werden. Oder anders, die Kosten (Lohn- Arbeitsbedingungen-Steuern usw.) müssen dem Produktivitätsfortschritt steigen. Und hier können wir denke ich gut unsere Solidarität zeigen und so gut es geht Druck machen. Was die Europäischen Südstaaten betrifft (Norditalien ausgenommen) waren sie insofern schlechter gestellt, weil sie sich 1. nicht mehr mit Abwertung "aufwerten" können und zudem mit dem Mauerfall auch der neuen Konkurrenz stellen müssen. Aber das ist ja nun auch schon einige Jahre her. Und, dass die Probleme mit der Finazkrise zusammen auftraten lässt mich daran zweifeln, dass das wirkliche Problem in der Industrie liegt. Auf jeden Fall wäre es schön wenn man diese Zusammenhänge in eine Analyse einfügt.