Industrie: Schlüssel zur Nachhaltigkeit

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Trotz aller Unkenrufe seit den 1980er Jahren, trotz der vie­len geist­rei­chen Monographien über das Ende der Industriegesellschaft und der Transformation zur Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft ist die indus­tri­elle Produktion nach wie vor die Basis des öko­no­mi­schen Erfolgs unse­rer Gesellschaft. Heute geht es darum, die­sen Erfolg zukunfts­fest zu machen und die Industrie nach­hal­tig zu modernisieren.

Jürgen Kerner, geschäfts­füh­ren­des Vorstandsmitglied der IG Metall, erklärt warum Nachhaltigkeit der Schlüssel zum Fortschritt ist.

Klar ist: Wer Nachhaltigkeit in Industrie und Wirtschaft durch­set­zen will, der darf sich nicht mit einer pas­si­ven Anpassung an den Wandel wirt­schaft­li­cher Rahmenbedingungen begnü­gen. Der Markt wird es nicht rich­ten! Notwendig ist viel­mehr bewusste Gestaltung und Ausdifferenzierung in ent­spre­chende Handlungsgebiete.

Aus Sicht der IG Metall ist die indus­tri­elle Entwicklung dann nach­hal­tig, wenn drei wech­sel­sei­tig mit­ein­an­der ver­bun­dene Ziele erreicht werden:

  1. Produktion und Wirtschaftsweise müs­sen sozial trag­fä­hig sein: Wandel bedarf der Mitbestimmung und der tarif­po­li­ti­schen Gestaltung
  2. Produktionsverfahren, Produkte und Dienstleistungen müs­sen öko­lo­gisch ver­träg­lich sein: effi­zi­en­ter und umwelt­scho­nen­der Verbrauch von Ressourcen rückt in den Mittelpunkt
  3. Wirtschaftsweise muss öko­no­misch sinn­voll orga­ni­siert sein: die Realwirtschaft muss gestärkt werden

Marktradikale Wachstumspolitik geschei­tert
Wer Nachhaltigkeit will, der muss sich auch mit der Form des künf­ti­gen Wirtschaftswachstums aus­ein­an­der­set­zen. Die IG Metall zählt nicht zu den Wachstumspessimisten. Dennoch nimmt sie die Debatten um Art und Weise des Wachstums ernst.

Richtig ist: Die Wachstumspolitik der ver­gan­ge­nen Jahre, die nach mark­tra­di­ka­ler Denkweise auf die so genannte Entfesselung der Marktkräfte und einen Rückzug des Staates setzte, hat ihre Versprechen nicht gehal­ten. Sie hat weder ins­ge­samt zu höhe­ren Einkommen, zu mehr und bes­se­ren Arbeitsplätzen geführt, noch zur all­ge­mei­nen gesell­schaft­li­chen Wohlstandsmehrung beige­tra­gen. Im Gegenteil, diese Form der Wachstumspolitik hat zu wach­sen­der Verteilungsungerechtigkeit und einem wei­te­ren Abbau der sozia­len Sicherungssysteme geführt. Kurzum: Marktradikale Wachstumspolitik löst keine Probleme.

Qualitatives Wachstum nötig
Die Aufgabe, vor die unsere Gesellschaft steht, ist äußerst anspruchs­voll: der Wechsel vom kohlenstoff- und res­sour­cen­in­ten­si­ven Pfad hin zu einem klima- und sozi­al­ver­träg­li­chen Wirtschaftswachstum muss. Hierzu muss geziel­tes Wachstum ermög­licht, die­ses ist sozial zu gestal­ten und gleich­zei­tig sind nega­tive öko­lo­gi­sche Folgen zu ver­mei­den. Im Kern bedeu­tet dies, einen Entwicklungspfad ein­zu­schla­gen, bei dem wächst, was öko­lo­gisch, öko­no­misch und sozial gewollt ist, und schrumpft, was gesell­schaft­lich nicht gebraucht wird oder öko­lo­gisch schäd­lich ist. Das ist schnell gesagt, die Kunst wird aber in der Umsetzung liegen.

Denn schon bei der Definition, was sozial gewollt ist und was gesell­schaft­lich nicht mehr gebraucht wird, gibt es mit Sicherheit einen gro­ßen Blumenstrauß von Ideen und Meinungen. Und selbst wenn die Definitionen ste­hen, dürfte es eine blü­hende Blumenwiese voll Vorstellungen geben, auf wel­chen Wegen diese Ziele erreicht wer­den können.

Und: Grüne Jobs müs­sen noch lange nicht gute Jobs sein. Aus Befragungen der Beschäftigten in der Wind- und Solarbranche wis­sen wir, dass Entlohnung und Arbeitsbedingungen heute doch sehr zu wün­schen übrig lassen.

All dies ver­deut­licht ein­mal mehr, dass es um eine öko­lo­gi­sche, aber auch um eine soziale und demo­kra­ti­sche Erneuerung gehen muss.

Industrielle Innovation aus­schlag­ge­bend
Schon heute wis­sen wir, dass die nach­hal­tige Modernisierung nur mit und über die Industrie funk­tio­niert. Deren Innovationskraft wird aus­schlag­ge­bend sein, wenn Wachstum und Ressourcenverbrauch ent­kop­pelt und neue Verfahren gegen Klimawandel und zum Schutz der Umwelt ent­wi­ckelt wer­den sol­len. In der Industrie muss die enge Koppelung von Forschung und Entwicklung mit Produktion und Service im Sinne von Nachhaltigkeit und qua­li­ta­ti­ven neu orga­ni­siert werden.

Im Zentrum ste­hen dabei die Beschäftigen der Industrie. Nur auf Basis ihrer Erfahrung, ihres Wissens und ihrer Kreativität kann nach­hal­ti­ges, qua­li­ta­ti­ves Wachstum ent­ste­hen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeich­nen letzt­end­lich für die Produktentwicklung, die Produktionsverfahren und die Produkte selbst.

Sechs Thesen für Nachhaltigkeit
Abschließend will ich sechs Thesen auf­stel­len, die ins­be­son­dere die öko­lo­gi­sche und soziale Dimension von Nachhaltigkeit ansprechen.

  1. Primat der Politik: Der öko­lo­gi­scher und soziale Umbau erfor­dert demo­kra­tisch legi­ti­mierte Eingriffe in wirt­schaft­li­che Abläufe. Insbesondere müs­sen die Finanzmärkte regu­liert wer­den. Ihre Deformation durch hoch­spe­ku­la­tive Geschäfte steht im grund­sätz­li­chen Widerspruch zu einer nach­hal­ti­gen und effi­zi­en­ten Wirtschaftsweise.
  2. Nachhaltige Industrie- und Strukturpolitik: Der indus­tri­elle Sektor ist Grundlage unse­rer Öko­no­mie. Daher ist aktive und nach­hal­tige Industriepolitik die Voraussetzung für qua­li­ta­ti­ves Wachstum. Startpunkt sollte hier die Einführung eines indus­trie­po­li­ti­schen Dialogs von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften sein.
  3. Ressourceneffizienz durch indus­tri­elle Innovationen: Der Schüssel zu öko­lo­gisch ver­träg­li­chem Wachstum ist Effizienzsteigerung. Der abso­lute Ressourcenverbrauch muss ver­rin­gert wer­den, dafür ist die Produktivität von Energie- und Materialeinsatz zu stei­gern. Erneuerbare Energien sind selbst­re­dend tra­gende Säulen einer koh­len­stoff­ar­men Energieversorgung der Zukunft.
  4. Demokratisierung und Mitbestimmung: Starke Betriebsräte und Mitbestimmung sind ein Erfolgsfaktor unse­rer indus­tri­el­len Entwicklung. Die Demokratisierung muss aus­ge­baut wer­den, um Beschäftigten und ihre Vertretungen zu akti­ven Mitgestaltern der nach­hal­ti­gen Modernisierung zu machen. Sie sol­len wirk­lich Mitverantwortung für die öko­lo­gi­sche Gestaltung von Arbeitsprozessen und Produkten erhalten.
  5. Gute Arbeit: Soziale Nachhaltigkeit heißt auch, die Unordnung auf dem Arbeitsmarkt zu besei­ti­gen. Minijobs, befris­tete Beschäftigung und Leiharbeit wider­spre­chen sozia­ler Nachhaltigkeit, ebenso wie die Verlängerung von Arbeitszeiten und Lebensarbeitszeit. Notwendig ist die Gestaltung der Arbeitsprozesse ent­spre­chend der mensch­li­chen Natur im Sinne guter Arbeit.
  6. Gerechte Verteilung: Bislang erleb­ten wir eine Umverteilung von unten nach oben. Dies muss sich ändern in Richtung einer brei­te­ren Verteilung von Einkommen und Vermögen sowie einer Stärkung der Systeme der sozia­len Sicherheit Denn die faire Verteilung des mate­ri­el­len Wohlstandes führt zur Verbesserung der Lebenschancen aller und ver­rin­gert soziale Konflikte.

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