Auch wenn bei der Energiewende noch sehr vieles schief läuft, sehen Wissenschaftler und Metaller in der Energiewende eine große Chance für die Wirtschaft und die Arbeitnehmer. Die IG Metall will darum Vorreiter sein. Wichtig ist für sie, dass die Jobs, die durch Energiewende entstehen, gute Arbeit ist und dass die Bürger und Arbeitnehmer an dem ehrgeizigen Projekt beteiligt werden.
Wirtschaft und „Wir stehen vor einem fundamentalen Umbau des gesamten Wirtschaftssystems“. So stimmte Eberhard Brandes, Geschäftsführer des WWF (World Wildlife Fund for Nature), die Teilnehmer des Kurswechselkongresses auf die „Architektur der Energiewende“ ein. Brandes hält es für machbar, den Ausstoß des Klimakillers C02 bis 2050 um 95 Prozent zu senken. Eine solche Umstrukturierung sei mit Ausgaben in Höhe von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts bezahlbar.
Wo ein Weg ist, ist auch ein Wille?
„Es geht. Die Frage ist: Wollen wir es?“ Offenbar ja. Auch wenn Bürger gegen neue Stromtrassen oder Windräder in der Landschaft mobil machen: Die Zustimmung zu einer Energiewende in der Bevölkerung ist sehr hoch. Das zeigen Umfragen. Auf sie wies Professor Claudia Kemfert im Kongress-Forum „Architektur der Energiewende“ hin. Kemfert ist Energieexpertin im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. 40 Prozent der Investitionen in erneuerbare Energie, so die Wissenschaftlerin, stammen von Privatpersonen oder Genossenschaften. Der Anteil der vier großen Energiekonzerne liegt nur bei sieben Prozent.
Jeder sein eigener Stromproduzent
Auch in Zukunft wird der größte Teil der Energie dezentral, von Selbstversorgern, produziert, prognostizierte Ronny Meyer, Geschäftsführer der Windagentur Bremen/Bremerhaven. Zum Beispiel von Eigenheimbesitzern, die Solaranlagen auf dem Dach haben. Auch Unternehmen würden in Zukunft stärker darauf setzen, ihren Strom selbst zu erzeugen. Aber alle erneuerbaren Erzeuger hätten Nachteile. Solaranlagen produzieren im Winter zu wenig Strom. „Darum brauchen wir alle.“ Meyers Job ist es, Offshore-Windenergie zu fördern. „Wir an der Küste profitieren vom Wind.“ Nutznießer seien aber auch andere Bundesländer. Bayern und Baden-Württemberg zum Beispiel, weil sie künftig mit Strom aus dem Norden beliefert werden sollen. Aber auch bei den Arbeitsplätzen und der Wertschöpfung sind nicht nur die Küstenregionen die Profiteure. Firmen in Nordrhein-Westfalen gehören dazu und selbst in Bayern hängen Arbeitsplätze von Windenergie vor der Küste ab, sagte Meyer. Doch nachdem die Branche viel investiert und Beschäftigte qualifiziert habe, drohe 2013, dass die Produktionskapazitäten „stillstehen“, weil Anschlüsse ans Netz fehlen.
Politisches Herumeiern macht viel kaputt
Meyer kritisierte die Politik, weil sie keinen klaren Plan für die Energiewende hat und sie nicht konsequent unterstützt. Angesichts des ewigen Hin und Her und der Horrorwarnungen vor dem Kollaps sprängen die Firmen ab. „Der Staat muss den Ausbau der Infrastruktur flankieren, vor allem den Ausbau von Stromspeichern und Netzen“, pflichtete Johannes Remmel, grüner Umweltminister in Nordrhein-Westfalen, ihm bei. Das müsse in den nächsten fünf Jahren passieren. Die Energiewende könne aber auch nur gelingen, „wenn sie eine Gemeinschaftsanstrengung wird, an der alle gesellschaftlichen Gruppen beteiligt werden: Wirtschaft, Umweltverbände, Arbeitnehmer und andere“. Das sei auch wichtig, damit die Bevölkerung sie akzeptiert, ergänzte Claudia Kemfert. „Wo die Menschen beteiligt werden, gehen sie mit.“
Millionen neue Stellen
Wenn die Energiewende gelingt, ist das nicht nur gut für den Klimaschutz, sondern auch für die Wirtschaft und die Arbeitsplätze, die sie bieten kann. Daran hatten alle Experten im Forum keinen Zweifel. Die Energiewende erschließt neue Geschäftsfelder, vor allem bei material- und energieeffizienten Technologien und in der Kreislaufwirtschaft, sprich: beim Produktrecycling. Und sie schafft neue Stellen. Kemfert schätzt, dass allein Umwelttechniken bis 2020 rund zwei Millionen Arbeitsplätze schaffen können.
Ökologisch vorne, aber frühkapitalistische Arbeitsbedingungen
Der Optimismus, den die Wissenschaftler verbreiten, passt allerdings nicht immer unbedingt zu den Erfahrungen, die Beschäftigte hier und heute machen. Das wurde auch im Forum deutlich. Meinhard Geiken, der Bezirksleiter der IG Metall an der Küste, gab zu bedenken, dass die Arbeitsbedingungen in der Solar- und Windenergiebranche oft alles andere als gut sind. Sie ähneln mitunter eher denen der fernen Vergangenheit des Frühkapitalismus als dem, was Menschen sich unter Zukunftsarbeitsplätzen vorstellen. Schlechte Löhne, lange Arbeitszeiten, Behinderung von Betriebsräten sind gang und gäbe. „Die Kollegen in den Kernkraftwerken sagen: Warum sollen wir zu den Erneuerbaren wechseln? Hier haben wir gute Arbeitsbedingungen, dort nicht.“
Arbeitsverlust statt Zukunftsjobs
In der Solarindustrie kommt Angst vor Arbeitsplatzverlust dazu. „Eine Reihe von Firmen sind insolvent, viele Kollegen haben ihre Arbeit verloren.“ Darauf wies Harald Frick hin, der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Solarfirma Conergy. Der deutsche Markt sei für die Solarbranche „abgegrast“. Und auf dem internationalen Markt sorge China mit niedrigen Produktionskosten für einen ruinösen Wettbewerb, in dem die deutschen Firmen nur verlieren können.
Vorreiter sein lohnt sich
„Die Solarbranche ist ein Beispiel dafür, wie Chancen verspielt worden sind“, sagte Detlef Wetzel, der Zweite Vorsitzende der IG Metall. Um aus Fehlentwicklungen zu lernen, forderte er eine Plattform Energiewende, in der Wirtschaft, Arbeitnehmer, Wissenschaftler und Politiker gemeinsam nach Wegen suchen, um die Umstrukturierung im Interesse des Umweltschutzes, der Wirtschaft und der Arbeitnehmer zu gestalten. Denn trotz alledem lohne es sich, bei der Energiewende Vorreiter zu sein. Die IG Metall will darum jetzt 1000 Betriebsräte zu Energieexperten ausbilden, um die Energiewende auch in der betrieblichen Praxis voranzutreiben.
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