Ökonom am österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) in Wien
Bestimmen die Gütermärkte die Preise auf den Finanzmärkten? Oder beeinflusst das Verhalten der Finanzmärkte, wie sich die Akteure in der „realen“ Wirtschaft verhalten? Während die meisten Theorien von der ersten Annahme ausgehen, untersucht Stephan Schulmeister in seiner Forschung die zweite These. Schulmeister beschreibt, wie die Wirtschaft sich nach dem 2. Weltkrieg zunächst nach keynesianischen Grundsätzen aufstellte. In dieser Spielordnung werden ökonomische Prozesse nicht nur durch den Markt, sondern auch durch einen aktiven Staat gesteuert. Gewerkschaften und Arbeitgeber arbeiteten eng zusammen, die Finanzmärkte sind reguliert, das Gewinnstreben kann sich nur in der Realwirtschaft entfalten. Zu den Ergebnissen dieser „realkapitalistischen“ Ordnung zählt Schulmeister den wachsenden Sozialstaat, Vollbeschäftigung und niedrige Staatsschulden.
Das Erstarken der Gewerkschaften, die Umverteilung zugunsten der Löhne, die Forderung nach mehr Mitbestimmung, der Aufstieg der Sozialdemokratie und der Beginn der ökologischen Bewegung machen die Wirtschaft in den 70er-Jahren wieder empfänglich für die Verheißungen des Neoliberalismus. Der Glaube an völlig rational agierende Finanzmärkte setzt sich durch. Schulmeister sieht darin die Wurzeln der Krise, die 2008 zum Zusammenbruch der Finanzmärkte führte. Den Neoliberalismus bezeichnet er als „marktreligiöse Weltanschauung“.
Schulmeister fordert einen „New Deal“ für Europa. Er will die Finanzinstitutionen wieder zum Dienstleister der produzierenden Wirtschaft machen. Dazu reicht es nicht, Investments und Hedge Fonds zu kontrollieren oder eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Für einen New Deal braucht es nach Schulmeister auch neue Ansätze auf allen Ebenen wie einen ökologischen Umbau der Wirtschaft oder neue Arbeitszeitmodelle.
LITERATURTIPP:
Mitten in der großen Krise – ein „New Deal“ für Europa. Picus-Verlag, Wien 2010, ISBN 978-3-85452-586-8