Seit 2008 die Weltwirtschaft in die schwerste Krise seit 80 Jahren schlitterte, reden alle von den Finanzmärkten. Sie haben mit grenzenlosen Spekulationen und dem Glauben an endlose Geldvermehrung die Krise ausgelöst. Doch Märkte handeln nicht. Sie sind Plätze, auf denen Menschen Entscheidungen treffen. Was die Akteure ändern müssen, diskutierten Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen mit Experten auf dem Kurswechselkongress der IG Metall.
In einem Punkt waren sich fast alle einig: 2008 kann sich wiederholen. Eine Wiederholung der Krise hätte allerdings weit schlimmere Folgen. Denn mitten in der Eurokrise träfe eine erneute Finanz- und Wirtschaftskrise Europa härter als 2008. Darin waren sich die Gewerkschafter und Experten einig, die auf dem Kurswechselkongress der IG Metall über die Regulierung der Finanzmärkte diskutierten. Bislang habe die Politik wenig getan, um die Spekulationen an den Finanzmärkten – und damit das erneute Entstehen einer Blase – zu verhindern.
Rolle der Banken ändern
Damit die Wirtschaft nicht noch einmal von den Finanzmärkten in eine Krise gerissen werden kann, müsse sich die Rolle der Banken ändern. Dies forderte sowohl Ralph Heuwing, Finanzvorstand der Firma Dürr, als auch Torsten Windels, Chefvolkswirt der NordLB. Banken müssten wieder eine der Volkswirtschaft dienende Funktion bekommen, sagte Windels. Heuwing stellte klar: „Ohne Banken geht es nicht. Aber wir brauchen ein vernünftiges Miteinander, mit vernünftigen Spielregeln.“
Die Firma Dürr hatte die Folgen der Finanzmarktkrise zu spüren bekommen. Nach dem Crash gingen die Aufträge zurück. „Es waren harte Zeiten“, sagt Heuwing. „Die Banken sind uns treu geblieben, aber der Ton hat sich verschärft.“ Sie schraubten etwa die Kosten für Kredite hoch. Seit 2010 hat sich die Lage entspannt. Die Firma Dürr hat aus der Krise Konsequenzen gezogen. Sie hat unter anderem ihre Finanzierungsbasis verbreitert und die interne Finanzierung verbessert.
Das System war überfordert
Von den Finanzmärkten getrieben fühlt Heuwing sein Unternehmen nicht, auch wenn es seit 23 Jahren an der Börse ist und zu 70 Prozent dem Finanzmarkt gehört. Der Vorstand habe eine klare Vorstellung, wo es hingehen soll. Um seine Vorstellungen umzusetzen, brauche er Freiheit. „Freiheit gibt es nur mit wirtschaftlichem Erfolg. Nur dann können wir die unterschiedlichen Interessen von Anteilseignern, Arbeitnehmern, Kunden und Gesellschaft bedienen.“ Dürr sieht die Ursache der Krise in einer gigantischen Ausweitung der Schulden, mit der das System überfordert war. Wenn Regulierung effektiv sein wolle, müsse sie daher bei den Anbietern von Schulden ansetzen. Sie müsse zwar effektiv sein, dürfe aber Kredite nicht teuer machen.
Raus aus der Marktreligiosität
Der Wiener Wirtschaftswissenschaftler Stephan Schulmeister macht eine finanzkapitalistische Spielanordnung für die Krise verantwortlich. Sie wurde von den Eliten vorangetrieben und der Wirtschaftstheorie zusammengehalten. Dabei verlagerten die Akteure ihr Gewinnstreben auf die Finanzmärkte. Plötzlich glaubten alle, sie könnten ihr Geld arbeiten lassen. Das alles hielt eine dominante Wirtschaftstheorie zusammen, die dem Markt Vorrang gab. Diese Theorie funktionierte für Schulmeister wie eine Navigationskarte, nach der sich alle gerichtet haben. „Wenn diese Karte aber falsch ist, steuert das ganze System in die falsche Richtung.“ Die Wiedereinführung fester Wechselkurse ist für Schulmeister ein wichtiger Schritt, um Krisen zu verhindern. Aber auch die Akteure müssen umdenken. Mit Kant forderte Schulmeister, „den Ausgang der Eliten aus ihrer selbstverschuldeten Marktreligiosität.“
Menschen handeln, nicht Märkte
Bertin Eichler, Hauptkassierer der IG Metall, rückte am Ende noch einmal die handelnden Personen in den Blick. „Finanzmärkte sind Handelsplätze, auf denen Menschen Entscheidungen treffen“, sagte Eichler. Solange hohe Renditen das Handeln dieser Menschen beflügeln, werden sie weiter spekulieren. Wenn die Politik die Krisengefahr eindämmen will, muss sie hochspekulative Finanzgeschäfte unattraktiver machen, etwa durch eine Finanztransaktionssteuer. Außerdem forderte Eichler, Kreditgeschäft und Investmentbanking zu trennen, Leerverkäufe europaweit zu verbieten und eine wirksame Bankenaufsicht zu schaffen.
Zum Weiterlesen
Präsentation Torsten Windels Regulierung des Finanzmarktsystems aus der Sicht eines Bankvolkswirten [ mehr... ]
Präsentation Ralph Heuwing, Torsten Windels, Stephan Schulmeister, Bertin Eichler [ mehr... ]
Was stimmt daran nicht, warum wird das nicht Thema veröffentlichter Diskussion?
Vom Primat der Politik
Spätestens seit G. Myrdal ist allgemein bekannt, dass Wirtschaftswissenschaft keine Naturwissenschaft ist, in der unerbittliche Naturgesetze herrschen, sondern eine Sozialwissenschaft. In den Sozialwissenschaften lassen sich Interessenstandpunkte nicht vermeiden; wogegen auch nichts einzuwenden ist, sofern diese Standpunkte offengelegt werden und nicht von Fachleuten Aussagen gemacht oder Ratschläge erteilt werden im Namen wertfreier, wertneutraler Wissenschaft. Ökonomen gehen davon aus, dass Wirtschaft und Märkte nur dann funktionieren können, wenn alle wirtschaftlich relevanten Angelegenheiten rechtlich, gesetzlich geregelt sind, egal ob es dabei um Eigentum, Verträge, Wettbewerb, Arbeitsschutz, Umwelt, Kartelle oder Sonstiges geht. Und diese gesetzlichen Regelungen werden von der Politik für Wirtschaft und andere gesellschaftliche Bereiche gemacht und durchgesetzt. Das führt zu einer Selbstfesselung der Politik, denn Politik muss sich an geltendes Recht halten. Das heißt aber auch, dass diese gesetzlichen Regelungen modifiziert oder kassiert werden können oder müssen, wenn sie ihren Zweck nicht erfüllen, nicht zielführend sind. Für die Politik gibt es unter solchen Bedingungen keinen echten Sachzwang und die Berufung darauf kann nur als Ausrede gelten, als Flucht aus der Verantwortung, ob es dabei um Globalisierung, Deregulierung, Schuldenbremsen, fehlende staatliche Finanzmittel, Unabhängigkeit der Zentralbank (ohne gesamtwirtschaftliche Verantwortung), hohe Arbeitslosigkeit usw. geht. Das Primat der Politik und damit der Verantwortung ist in jedem Fall gegeben, mag es auch nicht immer verantwortungsvoll im Interesse der Allgemeinheit oder der Nachhaltigkeit wahrgenommen werden. Und die Politik kann nicht aus dieser Verantwortung entlassen werden, müssen doch die gesetzlichen Regelungen erlassen und durchgesetzt werden. Insofern ist nicht nachzuvollziehen, wie seitens des Neoliberalismus ein Zurückdrängen des Staates, eine Nichteinmischung in die Wirtschaft gefordert werden kann, gar eine Schrumpfung oder Abschaffung des Staates. Es ist sicher einleuchtend, dass die Politik nicht über bessere Sachkenntnis verfügt als die Fachleute in der Wirtschaft, dass der Staat auch nicht mit höherer Weisheit gesegnet ist, aber: indem er für Wirtschaft und Gesellschaft gesetzliche Regelungen schafft, reduziert der Staat für alle Betroffenen die Komplexität, reduziert er ihren Handlungsspielraum, so dass sie in einer besser überschaubaren Welt bessere, eher rationale Entscheidungen treffen können (Ausführungen dazu bei Herbert Simon in seiner Theorie der beschränkten Rationalität).
Vielleicht ist es nach mehr als 15 Jahren an der Zeit, um den Ausspruch von Tietmeyer auf dem Weltwirtschaftsforum 1996 in Davos zu korrigieren, der die dort versammelten Staatschefs belehrte: „Von nun an stehen Sie unter der Kontrolle der Finanzmärkte.“ Es ist an der Zeit, endlich mal richtig zu stellen: Die Politik trägt die Verantwortung, sie schafft die gesetzlichen Rahmenbedingungen, damit Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt funktionieren können, sie hat das Geld- und Währungsmonopol, sie bestimmt, wo es lang geht, und Politik darf und kann sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
Was Politik kann, wenn sie will und darf
Die folgende Geschichte kann real sein, wenn die Politik dafür die Voraussetzungen schaffen wollte: Die Zentralbank richtet bei der zuständigen Sparkasse für eine Gemeinde ein Konto ein und stattet dieses mit einem ansehnlichen Betrag aus, über den die Gemeinde verfügen kann. Die Gemeinde vergibt Aufträge an Firmen und Handwerker vor Ort, stellt auch Personal ein, was sie zuvor mangels finanzieller Mittel nicht tun konnte . Wahrscheinlich belebt sich die Wirtschaft im Ort, geht die Zahl der Arbeitslosen zurück, steigen die Umsätze der Geschäfte, ebenso die Steuereinnahmen, vergibt die Sparkasse Kredite an Firmen, die nun dank öffentlicher Aufträge kreditwürdig geworden sind.
Und das alles nur, weil die Zentralbank das getan hat, was ihre Aufgabe ist, nämlich das für Transaktionen benötigte Geld in die Wirtschaft zu schleusen, dieses Mal allerdings auf direktem Weg und nicht auf dem teuren Umweg über den Bankensektor. In diesem Zusammenhang ist es übrigens erstaunlich, warum diese übliche Subventionierung des Finanzsektors bei gleichzeitiger staatlicher Verschuldung (Bank leiht sich bei der Zentralbank Geld zu 1% Zinsen und kauft mit diesem Geld Staatspapiere, die 3% oder mehr an Zinsen bringen) nicht lautstark als Verschwendung angeprangert wird, vor allem vom Bund der Steuerzahler, denn es geht ja nicht um Kleckerbeträge. - Aber die Geschichte geht weiter. Die Sparkasse erhält den ihr zustehenden Betrag als Kontoführungsgebühr, dann ist das Konto leer und wird geschlossen. Eine neue Runde kann beginnen. Die Zentralbank streicht die fiktiven Schulden der Gemeinde aus ihren Büchern (bereits F. Soddy nannte die nie rückzahlbaren "Staatsschulden" virtuell). Die Fachleute für Geld und Finanzen mögen darüber nachgrübeln, wohin sich diese virtuellen Schulden der Gemeinde wohl verflüchtigt haben: haben sie zu einer Wertsteigerung des öffentlichen Vermögens geführt oder sind sie zu einer Vermögensmehrung im Privatsektor (Firmen und Haushalte) geronnen, oder trifft wegen der Symmetrie in der Buchhaltung beides zu?
In diesem Zusammenhang ist es anscheinend auch notwendig, darauf hinzuweisen, dass den Geldschulden allein von der Logik her, immer Geldvermögen in gleicher Höhe entsprechen (wie immer das auch abgegrenzt wird). Wenn also die staatlichen Schuldverschreibungen von Inländern gehalten werden, dann belasten sie nicht die nachfolgenden Generationen, dann werden sie vielmehr an diese vererbt und stellen eine Vermögensübertragung von einer zur jeweils nächsten Generation dar. Betrachtet man die jeweiligen Sektoren einer Volkswirtschaft, dann kann man zwischen Staat, Privatsektor (Haushalte und Unternehmen) sowie Ausland unterscheiden. Die Überschüsse bzw. Defizite dieser Sektoren addieren sich per def. immer zu Null. Bei außenwirtschaftlichem Gleichgewicht, das auf Dauer und im Mittel jedenfalls der Normalfall sein sollte, heißt das, dass die Ersparnisse des Privatsektors dem Defizit des Staates entsprechen, dass auf der anderen Seite jedoch Überschüsse im Staatshaushalt definitionsgemäß Defizite im Privatsektor (Firmen und Haushalte) bedeuten, d. h. Entsparen oder Vermögensabbau im Privatsektor.
Wenn man Geld für ein öffentliches Gut oder für ein Gemeinschaftsgut hält, das dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat und nicht der privaten Bereicherung, dann wird man früher oder später bei der staatlichen Theorie des Geldes landen; diese wurde bereits vor 100 Jahren in Deutschland gelehrt, und nach dieser Theorie hat das fiat money keinen eigenen Wert, wird aus dem Nichts geschöpft. Dieser Ansatz der Chartalisten wurde von Modern Monetary Theory unter Berücksichtigung der Einsichten von Keynes, Lerner, Minsky u.a. weiterentwickelt und ergänzt um das Konzept von Jobgarantie und Vollbeschäftigung. Hierzulande werden die Beiträge von Autoren wie B. Mitchell, R. Wray, W. Mosler, S. Kelton, P. Tcherneva, J. Galbraith u.a. nicht zur Kenntnis genommen, geschweige denn ernsthaft diskutiert; man kennt auch nicht die in den USA geführte Auseinandersetzung zwischen deficit hawks, doves und owls: eigentlich seltsam angesichts der seit Jahren andauernden Banken- und Finanzkrise und der bislang vergeblichen Therapiebemühungen von Mainstreamökonomen. – Sicher bietet MMT kein allgemeingültiges Rezept zur Lösung der anstehenden Wirtschaftsprobleme; doch wenn es stimmt, dass der souveräne Staat (als Schöpfer von Geld) keine Beschränkung bei der Finanzierung seiner Aufgaben kennt, dann ist MMT zumindest ein wichtiger Baustein bei der Lösung von Wirtschaftsproblemen. – Doch das Zögern der Fachleute ist ja verständlich: Anregungen zum eigenverantwortlichen Nachdenken könnten ja das eigene Weltbild verändern oder gar zum Einsturz bringen, wenn die sorgsam gepflegten Vorstellungen mit der Wirklichkeit kollidieren.
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