Die Krise um den Euro hat D-Mark-Nostalgikern Aufwind gegeben. Doch wäre ein Zurück zur alten Währung für Deutschland wirklich besser? Der Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger hat zu dieser Frage ein Buch geschrieben. Die EU müsse nicht zurück, sondern nach vorne gehen, hin zu einem sozialeren Europa. Auszüge aus seinem Vorwort:
In der Diskussion über die Zukunft des Euro haben »Wutbürger« und »Wutökonomen« die Oberhand gewonnen. Vor lauter Wut wird dabei völlig übersehen, dass die öffentliche Verschuldung in anderen großen Volkswirtschaften der Welt deutlich höher ist als noch vor einem Jahrzehnt, und dass die Neuverschuldung des Euro-Raums weitaus geringer ausfällt als etwa in den Vereinigten Staaten, Japan oder Großbritannien. Und so wird vieles als Defekt des Euro angesehen, was in Wirklichkeit die Folge eines gewaltigen Erdbebens ist, das die gesamte Weltwirtschaft mit der globalen Finanzkrise erfasst hat.
Noch sehr viel weniger wird das tiefer liegende Problem erkannt, dass die Weltwirtschaft nicht mehr nachhaltig wachsen kann, wenn die Einkommensverteilung immer ungerechter wird. Die hohen Staatsdefizite waren nichts anderes als Substitute für die fehlende Kaufkraft der vom allgemeinen Wirtschaftswachstum abgekoppelten Durchschnittsarbeitnehmer.
Aber davor verschließt man in Deutschland gerne die Augen, nicht zuletzt weil man noch immer einer D-Mark-Nostalgie anhängt. Der Euro wird immer noch als Teuro wahrgenommen, obwohl die deutsche Inflationsrate nach 1999 deutlich niedriger war als zu Zeiten der Bundesbank- Autonomie.
Natürlich ist es völlig legitim, auf die Risiken der Rettungsschirme hinzuweisen. Aber man muss sich dabei der Tatsache bewusst sein, dass der Euro derzeit um sein Überleben kämpft. Das System ist in den beiden letzten Jahren so stark destabilisiert worden, dass es derzeit nur mit Rettungsschirmen und den Hilfen der EZB überlebensfähig ist. Wer nun dazu aufruft, diese intensivmedizinischen Maßnahmen sofort einzustellen, nimmt billigend den Tod des Euro in Kauf.
Alle haben Fehler gemacht
In diesem Buch soll zum einen gezeigt werden, dass Europa grundsätzlich unser Vertrauen verdient, auch wenn im vergangenen Jahrzehnt vieles falsch gelaufen ist. Alle Beteiligten, nicht nur Griechenland, sondern auch Deutschland und die Europäische Zentralbank, haben in den Jahren 1999 bis 2007 auf ihre Weise zum Ausbruch der Krise beigetragen. Natürlich haben die Finanzmärkte in Europa einen ähnlich großen Flurschaden angerichtet wie in den Vereinigten Staaten. Seit 2010 haben sich alle Problemländer tapfer bemüht, ihre Staatshaushalte zu konsolidieren. Wenn die Erfolge nicht sichtbarer sind, liegt dies nicht zuletzt an dem Wirtschaftseinbruch, der von den rigiden Sparprogrammen ausgelöst wurde.
Mit dem Euro 2.0 soll ein Lösungsweg aufgezeigt werden, der nach einer temporären Stabilisierung durch die EZB möglichst schnell eine grundlegend neue Architektur der Währungsunion ansteuert. Konkret muss der Euro 2.0 durch eine sehr viel direktere Kontrolle über Mitgliedsländer mit einer unsoliden Fiskalpolitik gekennzeichnet sein. Das setzt einen nationalen Souveränitätsverzicht zugunsten eines durch das Europäische Parlament legitimierten »Europäischen Finanzministers« voraus. Im Gegenzug sollte den Mitgliedsländern eine Finanzierung im Rahmen einer Gemeinschaftshaftung eröffnet werden, die sie vor den durch Panikattacken ausgelösten überzogenen Renditeforderungen der Finanzmärkte schützt.
Der Schritt in die Richtung einer stärkeren europäischen Integration ist nicht ohne Risiken. Doch dies gilt in noch sehr viel stärkerem Maße für alle anderen Lösungen. Die schlechteste Variante wäre ein weiteres »Durchwursteln«, wie wir es in den letzten dreißig Monaten erlebt haben.
Unkalkulierbare Risiken
Kaum besser als ein »Schrecken ohne Ende« wäre ein »Ende mit Schrecken«, der in einer gezielten Auflösung der Währungsunion bestünde. Neben den schwer kalkulierbaren Risiken des Übergangs würde sich die deutsche Wirtschaft einer massiven Aufwertung der neuen D-Mark nicht nur gegenüber den anderen europäischen Währungen, sondern auch gegenüber dem US-Dollar, dem Japanischen Yen und dem Chinesischen Renminbi gegenüberstehen. Das Schicksal unserer Wirtschaft läge dann mehr denn je in den Händen der völlig unkalkulierbaren Finanzmärkte.
Die Folgen eines Scheiterns der Währungsunion gingen jedoch weit darüber hinaus. Wenn die Weltwirtschaft nach Jahrzehnten eines vor allem durch private und dann öffentliche Verschuldung getriebenen Wachstums wieder zu einem nachhaltigen Entwicklungsmodell zurückfinden soll, müssen die Einkommen weltweit gerechter verteilt werden. Das setzt voraus, dass die Rechte von Arbeitnehmern und die Stellung von Gewerkschaften gestärkt und nicht noch weiter geschwächt werden. Im nationalen Alleingang ist das unter dem Druck des globalen Wettbewerbs heute kaum noch durchsetzbar. Allein die Europäische Union kann hierfür den notwendigen Rahmen bieten, doch er wird nur genutzt werden, wenn sich die Staaten Europas in erster Linie als solidarische Partner verstehen.
Die große Chance der Euro-Krise besteht darin, dass die Mitgliedsländer gemeinsam die Kraft finden, den Schritt nicht nur zu einer stabileren Währungsunion, sondern auch zu einem sozialeren Europa zu wagen.
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