Mehr als die Hälfte junger einkommensschwacher Menschen sehen keine Chance für einen sozialen Aufstieg. Das hat im November 2012 das Allensbach-Institut herausgefunden. Hoffnung und Zuversicht signalisiert eine solche Aussage nicht. Dieses Umfrageergebnis zeigt hingegen, wie dramatisch schlecht junge Menschen ihre Zukunft einschätzen. Das ist nur eine der Folgen der Einkommensentwicklung in Deutschland. Verteilungsgerechtigkeit und Lebenschancen waren ein Thema auf dem IG Metall-Kongress.
Die Schere zwischen Arm und Reich schließt sich wieder, das meldete vor wenigen Tagen das DIW. Doch diese positive Meldung muss in Kürze wieder relativiert werden. Denn tatsächlich sind die Unterschiede zwischen oben und unten, zwischen arm und reich im letzten Jahrzehnt größer geworden.
Über die Auswirkungen dieser Entwicklung diskutierten in dem Forum "Lebenschancen und Verteilungsgerechtigkeit" Michael Hartmann von der Technischen Universität Darmstadt, Gustav Horn vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Jürgen Kädtler vom Sofi in Göttingen und Noel Whiteside, Universität of Warwick, Großbritannien.
Hohe Armutsquote in Großstädten
In den großen Städten sind die Unterschiede besonders dramatisch. Dort gibt es eine massive Polarisierung zwischen den verschiedenen Einkommensgruppen. Zwischen 20 und 25 Prozent liegt die Armutsquote in Städten mit mehr als 300 000 Einwohnern. Hier sieht man auch deutlich die Auswirkungen dieses Verdrängungsprozesses. Niedrigere und mittlere Einkommen werden an den Rand – in unattraktive Stadtviertel – abgedrängt. Doch nicht nur die Wohnsituation unterscheidet sich von der Situation der Besserverdienenden. Die Folgen dieser Einkommensentwicklung wirken sich auf alle Lebensbereiche aus, stellt Michael Hartmann fest.
Die sozialen Ängste wachsen, die Gesundheitsrisiken steigen, Menschen werden ausgegrenzt und die Politikverdrossenheit nimmt zu. Dass die Situation dramatisch ist, zeigt auch das Ergebnis einer Allensbach-Umfrage. Danach halten mit 55 Prozent mehr als die Hälfte der unter 30-jährigen einkommensschwachen Deutschen einen Aufstieg aus einer einfachen sozialen Schicht nur für sehr schwer möglich. Durch persönliche Anstrengungen in der Regel weiter zu kommen, davon sind sogar nur 19 Prozent überzeugt. Allein das Elternhaus entscheide darüber, ob man weiterkomme. Dieses ernüchternde Ergebnis zeigt: Um Chancengleichheit herzustellen, müssen nicht nur die Einkommens-, sondern auch die Bildungs- und die Lebensverhältnisse angeglichen werden.
"Die am besten ausgestatteten Schulen gehören in die Problemviertel" forderte der Soziologe Jürgen Kädtler. Dann würden sich auch die Voraussetzungen und Qualifikationen, mit der Schüler in die Ausbildung gehen, verbessern. Dann würden die Schüler aus den Problemvierteln auch nicht ausgegrenzt werden, so wie es heutzutage der Fall ist. Für eine Verbesserung der Chancen müssen die Menschen in der Lage sein, ihr Leben auch tatsächlich selbst bestimmen und gestalten zu können.
Die deutsche Lohnpolitik hat die Krise angekurbelt
Für Gustav Horn hat Deutschland bereits zu Beginn der Krise die falschen Weichen gestellt. Statt Griechenland Solidarität zu signalisieren, hat man Sparprogramme von den Griechen gefordert. Für Horn hat die deutsche Lohnpolitik die Krise befördert. Denn statt die Binnennachfrage hierzulande mit höheren Löhnen anzukurbeln, hat man einen Sparkurs eingeschlagen. Die Arbeitnehmer haben verzichtet, weniger konsumiert. Nun brechen die Exporte ein, vor allem in die südeuropäischen Länder, die nun deutlich weniger deutsche Waren abnehmen können.
Diese Entwicklung wirkt sich auch auf die sozialen Sicherungssysteme aus. Noelle Whiteside macht das am Beispiel der Alterssicherung in Großbritannien, dem Mutterland des Neoliberalismus, deutlich. Dort werden die Rentenansprüche der Menschen immer unsicherer. Besonders Frauen sind häufig – wie auch in Deutschland – nicht durchgängig vollzeitbeschäftigt und müssen große Einschnitte bei ihrer Rente hinnehmen. "Unsicherheit unterhöhlt das Handeln", stellt Noel Whiteside fest und fordert sichere und gute Regeln um Handeln zu können.
Was passieren muss, damit es besser wird
Mindestlöhne, Anerkennung allgemeinverbindlicher Tarifverträge, Verbot von gelben Gewerkschaften und eine öffentliche Förderung von Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen statt zu streichen – das wären nach Auffassung von Helga Schwitzer, geschäftsführendes Vorstandsmitglied Schritte in die richtige Richtung. Dazu gehöre auch ein Bonus- und Malussystem für Unternehmen, das honoriert beziehungsweise bestraft, wenn die Arbeitszeit verkürzt oder verlängert und gerechte beziehungsweise ungerechte Löhne gezahlt werden.
Zum Weiterlesen
Prof. Dr. Gustav A. Horn: Folienbeitrag "Ungleichheit und Lebenschancen" [...mehr]
Jürgen Kädtler: Folienbeitrag "Verteilungsfragen als Teilhabefragen" [...mehr]
Folienbeitrag: "Forum 11 - Lebenschancen und Verteilungsgerechtigkeit / Life Opportunities and Fair Distribution" [...mehr]