Kurt Hübner, Professor an der University of British Columbia in Vancouver/Kanada, hält einen grünen Wachstumspfad für erforderlich, der globale ökologische Knappheiten mit sozialen Gerechtigkeitsansprüchen kompatibel macht. Doch er muss politisch gesteuert werden und dies kann nicht im nationalen Alleingang geschehen.
Kapitalistische Marktwirtschaft benötigt Wachstum wie Menschen Luft zum Atmen. "Akkumulieret, akkumulieret, das ist Moses und die Propheten", erkannte bereits Karl Marx. Man muss nicht erst nach Griechenland schauen, wo die Wirtschaft im sechsten Jahr schrumpft, um zu verstehen, welche sozialen Kosten entstehen, wenn dieser Parole nicht gefolgt wird und der Kapitalismus schrumpft.
Wachstum nicht gleich Wohlstand
Die wieder im Aufwind segelnden neoliberalen Marktoptimisten sehen in der gegenwärtigen europäischen Krise die Chance einer Rückkehr zu alten Rezepten, die mit liberalisierten (Arbeits-)Märkten mehr Wohlstand und Wachstum versprechen. Mehr Wachstum erzeugt allerdings nicht automatisch mehr Wohlstand für alle. Die USA beispielsweise hatten in den Jahren vor der globalen Finanzkrise ein Wirtschaftswachstum oberhalb des OECD-Durchschnitts und gleichzeitig eine dramatisch zunehmende ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung.
Wirtschaftswachstum hat darüber hinaus ökologische Ressourceneffekte, und zwar selbst dann, wenn die Ressourcenproduktivität steigt, also pro erzeugter Einheit weniger Ressourceninput erforderlich wird. Dieser sogenannte 'Reboundeffekt' wird etwa von den wachstumkritischen Mitgliedern der Enquetekommission 'Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft' ins Feld geführt und als Argument für einen neuen Wachstumstypus verwendet.
Eine Abkehr vom bisherigen Wachstumsmodell ist überfällig
In der Extremposition wird Wachstum als ökologisches und gesellschaftliches Übel angesehen, das vermieden werden sollte. Keine Frage: Mit wachsendem Ausstoß von Gütern und Dienstleistungen werden immer mehr begrenzte Ressourcen abgebaut, und selbst wenn die Grenzen für die heutige Generation weit entfernt scheinen, ist es offensichtlich, dass die heutige Nutzung potenziell die Nutzungsmöglich-
keiten nachfolgender Generationen einschränkt. Eine Abkehr vom bisherigen Wachstumsmodell ist überfällig. Aus sozio-ökonomischen wie ökologischen Gründen.
Auch wenn die heutige ökonomisch-politische dominante Wahrnehmung es anders sieht: Der Finanzmarktkapitalismus hat sich nicht nur als krisenhaft, sondern auch als systemisch dysfunktional erwiesen. Weder hilft er, ökonomisches Wachstum zu generieren, noch leistet er einen Beitrag für einen Kurswechsel zu einer Nettoressourcenschonung. Ein alternatives Akkumulationsregime tut Not.
Grüne Innovationen
Grünes Wachstum, also ein Typus von selektivem Wachstum, wird oft als systemischer Ausweg angeboten. Ein solcher Wachstumstypus muss die Fähigkeit haben, ökologische Knappheiten mit sozialen Gerechtigkeitsansprüchen kompatibel zu machen. Das ist bekanntlich leichter gesagt als getan. Im internationalen politischen Angebot sind eine ganze Reihe von Vorschlägen, wobei die Europäische Kommission, die Vereinten Nationen und auch die OECD mit am nachdrücklichsten für Konzepte einer Niedrigkarbonemissions-Wirtschaft werben. Eine Schlüsselrolle in all diesen Konzepten spielen umweltrelevante 'grüne' Innovationen, die auf einen ressourcenschonenden, produktivitätssteigernden technologischen Neuerungsprozess zielen. Soweit, so gut.
Grüne Innovationen sind kein marktgenerierter Selbstläufer. Sie benötigen regulatorische Rahmenbedingungen und eindeutige Preissignale, nicht zuletzt weil diese Form von Innovationen wegen sogenannter Knowledge Spillover, also dem unvollständigem Schutz von individuellem Innovationswissen, einem potenziellen Marktversagen ausgesetzt sind: Es werden privatwirtschaftlich weniger grüne Innovationen hervorgebracht als möglich und gesellschaftlich erforderlich wären.
Zielgenaue staatliche Innovationspolitik
Das Umschwenken auf einen grünen Innovationspfad erfordert mithin staatliche Politik, und wie sich zeigen lässt, neben passenden institutionellen Rahmenbedingungen und politisch gesetzten Preissignalen auch eine sehr zielgenaue staatliche Innovationspolitik, die auf direkte Subventionierungen spezifischer Innovationsgruppen abzielt. Wer hier sektorale Industriepolitik riecht, liegt nicht ganz falsch.
Deutschland ist in vielerlei Hinsicht gut aufgestellt. Im internationalen Vergleich 'grüner Patente' rangiert Deutschland hinter den USA an zweiter Stelle, in Europa ist das Land Spitzenreiter. Der deutsche Anteil am globalen Handel mit klimaschutzrelevanten Gütern wird auf 12 Prozent geschätzt. Der Anteil des 'grünen Sektors' am BIP beträgt etwa 10 Prozent, wobei Prognosen davon ausgehen, dass sich der Anteil bis 2020 auf 14 Prozent erhöht. So gesehen ist grünes Wachstum kein Zukunftstraum, sondern bereits Gegenwart.
Nicht alles, was unter 'grün' rubriziert wird, hat positive Nettoumwelteffekte. Ökologische Modernisierung hat noch einen langen Weg vor sich. So hat Deutschland beispielsweise die im Kyoto-Protokoll vereinbarten Richtwerte für den CO2-Ausstoß sogar noch unterschritten, nicht zuletzt wegen der Kombination aus Deindustrialisierung und Modernisierung in Ostdeutschland. Gleichwohl bewegt sich der CO2-Ausstoß pro Einheit BIP oberhalb des EU-27-Durchschnittes.
Auch lässt sich begründet vermuten, dass ein Teil des CO2-Erfolges mit den Outsourcing-Praktiken vieler Teile der Industrie erklärt werden kann. Sobald man ins Auge fasst, dass Deutschland eine Handelsnation ist, die tiefe und weite Export- und Importverflechtungen aufweist sowie in hochentwickelte globale Zulieferketten eingebunden ist, wird das Bild eines im Vergleich 'sauberen' Produktionsstandortes komplexer und weniger scharf.
CO2-Importeur Deutschland
Empirische Studien zeigen, dass Deutschland (wie auch die USA, Japan, Großbritannien, Frankreich und Italien) Nettoimporteur von CO2-Emissionen ist. China auf der anderen Seite, und das ist keine Überraschung, ist der größte Nettoexporteur. Im deutschen Fall, so scheint es, fallen ressourcenschonende Produktion und Konsumtion auseinander. Ein Teil der Importe entfallen auf die Warenimporte im Zuge des Aufbaus globaler Zuliefererketten, und wären daher der Produktionsseite zuzuschlagen. Das Ergebnis wäre dann eine weit weniger erfolgreiche Klimapolitik als allgemein angenommen.
Politisch kann man einer solchen Entkopplung durch einen Klimazoll begegnen, der als Ausgleichssteuer für unterschiedliche CO2-Intensitäten gestaltet wäre. Vorschläge dazu gibt es, aber die Bundesregierung scheint wenig Interesse zu haben, einen mit einer solchen Politik verbundenen potenziellen Handelskonflikt einzugehen. Noch geringer ist das Interesse der deutschen Exportindustrie, würde ein solcher klimapolitischer Ausgleichszoll doch die Zulieferkosten erhöhen. Auch Konsumenten wären vermutlich nicht glücklich, wenn CO2-intensive Importe sich verteuern würden.
Den europäischen Raum nutzen
Grüne Innovationspolitik, so meine Schlussfolgerung aus diesem Beispiel, kann sich nicht auf den nationalstaatlichen Raum beschränken. Deshalb wäre ein verbesserter Nachfolger des Kyoto-Protokolls so wichtig gewesen. Jetzt muss der europäische politische Raum genutzt werden. Die Einführung von Klimazöllen etwa ist ein Projekt jenseits des Nationalstaates, aber auch jenseits von Märkten. Eine entschlossene grüne Innovationspolitik für Europa böte die Chance für Innovationsexporte und damit für grüne Spillover-Effekte, die helfen, ökonomische Entwicklungsdifferenzen zu verkleinern. Programmatisch ist die EU für eine grüne Innovationspolitik vorbereitet. Freilich fehlen die finanziellen Ressourcen und mehr noch die politischen Durchgriffsmöglichkeiten.
Grüne Innovationspolitik, national wie auch europäisch, kann, wenn sie erfolgreich sein soll, nicht entlang der Logik einer ministerialen Behörde organisiert werden, sondern bedarf eines starken und durchsetzungsmächtigen Querschnittprofils. Das wäre dann eine eigenständige Innovation.