Drei Arbeitswissenschaftler der Universität Duisburg-Essen haben letztes Jahr ein Gutachten für das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie erstellt. Darin geben sie Impulse für die Arbeitsmarktpolitik der Zukunft. Eine Zusammenfassung.
Grundannahmen der Wissenschaftler:
Gerhard Bäcker, Gerhard Bosch und Claudia Weinkopf skizzieren in ihrem Gutachten zunächst, welche Faktoren in den nächsten zehn Jahren auf dem deutschen Arbeitsmarkt eine Rolle spielen werden (Grundannahmen).
- Arbeitslosigkeit: Es ist nicht gesichert, dass der demografische Wandel eine Garantie dafür ist, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Um Arbeitslosigkeit zu reduzieren, ist ein Zusammenspiel makroökonomischer Politik mit den Instrumenten der Beschäftigungspolitik wichtig. Die Unternehmen werden für arbeitsmarktpolitische Instrumente und für tarifpolitische Lösungen offen sein, da sie bei Fachkräftemangel ihre Beschäftigten halten wollen.
- Fachkräftebedarf: Der Fachkräftebedarf wird steigen. Vor allem für Jobs mit mittleren und höheren Qualifikationsanforderungen. Es ist sinnvoll, auch gering Qualifizierten Maßnahmen zur Weiterqualifizierung zu ermöglichen (Prozess des Upgradings).
- Soziale Spaltung: Das soziale Gelichgewicht ist erschüttert. Viele Menschen empfinden den Arbeitsmarkt nicht mehr als gerecht. Der Niedriglohnsektor und die atypischen Beschäftigungsformen erweisen sich als soziale Sackgasse, weil es keine Mindeststandards gibt.
- Das Prinzip "Fordern und Fördern": Langzeitarbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt integrieren – das geht mit dem Prinzip „Fordern und Fördern“. Aber zurzeit kommt „Fördern“ zu kurz. Nachweislich funktioniert die Integration dann am besten, wenn Arbeitslose gut betreut und gefördert werden. Der Betreuungsschlüssel muss verbindlich erhöht und geregelt werden. Die Gegenleistungen, zum Beispiel der Nachweis der aktiven Arbeitsplatzsuche, sind sinnvoll.
- Ersatzbeschäftigungen: Ersatzbeschäftigungen („zweiter Arbeitsmarkt“) sind unverzichtbar. Es holpert jedoch bei den Maßnahmen zur Integration in den ersten Arbeitsmarkt, sobald sich die Vermittlungschancen verbessern.
- Soziale Sicherung: Die Standards der sozialen Sicherung sollten nicht sinken, da sie Arbeitslose in ihren Möglichkeiten stärken, eine angemessene Beschäftigung zu suchen.
- Länger arbeiten: Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist nötig. Die Politik muss nun die Voraussetzungen schaffen, dass Arbeitsplätze alternsgerecht gestaltet werden.
- Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Es gibt zu viele sozial-, steuer- und gesellschaftspolitische Anreize, die das Erwerbsmuster für Frauen fördern, in Teilzeit- und Minijobs zu arbeiten. Das ist weder arbeitsmarktpolitisch noch gesellschaftspolitisch sinnvoll.
Impulse für die Politik
Die Gutachter leiten aus ihrer Analyse die drei wichtigsten Handlungsanforderungen ab: Umorientierungen in der Arbeitsförderung, Neugestaltung der Übergänge zwischen den Leistungssystemen und bei der Einweisung in Arbeit sowie die Re-Regulierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse. Auszüge aus den Vorschlägen:
Berufliche Weiterbildung
Wegen der stark sinkenden Nachfrage nach gering qualifizierten Beschäftigten, dem hohen Anteil jüngerer Beschäftigter ohne eine berufliche Ausbildung und dem absehbar zunehmenden Fachkräftebedarf schlagen wir vor, die Rolle der abschlussbezogenen Weiterbildung in der Arbeitsmarktpolitik im nächsten Jahrzehnt deutlich zu stärken ("Qualifizierungsoffensive").
Ausbildung Jugendlicher
Wir schlagen vor, die Vermittlung in Ausbildung (generell über die Arbeitsagenturen) in den Vordergrund stellen und schulische Übergangsmaßnahmen zugunsten einer dualen Berufsvorbereitung deutlich zurückzufahren. Und gemeinsam mit der Wirtschaft allen ausbildungsfähigen Jugendlichen eine Ausbildungsgarantie zu geben.
Soziale Absicherung bei Arbeitslosigkeit
Reformen, die die Verbesserung der sozialen Absicherung bei Arbeitslosigkeit zum Ziel haben, sollten zentral darauf abzielen, den Schutzbereich der Arbeitslosenversicherung wieder auszuweiten. Das trägt auch dazu bei, dass die Arbeitsagenturen bei der Bemessung ihrer Leistungsbilanzen die Zeitperspektive ausweiten und im Betreuungs- und Vermittlungsprozess stärker als derzeit auch die längerfristig Arbeitslosen ins Blickfeld nehmen.
Verhinderung prekärer Arbeit
Um den Druck zur Aufnahme unterwertiger und wenig nachhaltiger Beschäftigung zu verringern, schlagen wir vor, die Zumutbarkeit von Arbeitsverhältnissen an das Kriterium der Zahlung von tariflichen oder ortsüblichen Löhnen zu binden und einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.
Übergang in den Ruhestand
Hinsichtlich des Altersübergangs schlagen wir vor, die Heraufsetzung der Regelaltersgrenze von der konkreten Arbeitsmarktlage der rentennahen Jahrgänge abhängig zu machen und insofern die Überprüfungsklausel des Gesetzes ernst zu nehmen. Und die Politik der Anhebung des Renteneintrittsalters durch eine langfristig konzipierte Qualifizierungsstrategie zu flankieren. Der demografische Wandel wie die Umbrüche im Tätigkeits- und Qualifikationsprofil erfordern besondere Anstrengungen bei der Qualifizierung – sowohl bei der schulischen und beruflichen Erstausbildung als auch bei der Fortbildung. Und wir schlagen vor, für Beschäftigte, die in ihrem Beruf langandauernd mit hohen gesundheitlichen Belastungen konfrontiert waren, bei der Regelaltersgrenze mit 65 Jahren zu bleiben.
Re-Regulierung atypischer Beschäftigungsverhältnisse
Wir schlagen vor, Minijobs als Nebentätigkeit abzuschaffen, weil es in keiner Weise gerechtfertigt erscheint, dass die Beschäftigten hierfür weder Steuern noch Sozialabgaben abführen müssen (Ungleichbehandlung zu Mehrarbeit im Hauptjob).
Außerdem eine effektivere Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebotes vor allem bezogen auf die Entlohnung und Durchsetzung arbeitsrechtlicher Standards, die grundsätzlich für alle Arbeitnehmer/innen gelten (bezahlter Urlaub und bezahlte Feiertage, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsschutz). Zielführend wären hierbei neben der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, der für alle Beschäftigtengruppen eine verbindliche Lohnuntergrenze zieht, folgende Maßnahmen: zum einen eine obligatorische Information der Minijobber/innen über ihre Rechte durch das einstellende Unternehmen sowie zum anderen öffentliche Kampagnen z. B. von Seiten des Bundes, der Länder und der Minijob-Zentrale.
Leiharbeit
Bezogen auf die Regulierung der Leiharbeit schlagen wir vor, Equal-Pay für Leiharbeitnehmer/innen im Entleihbetrieb ohne Tarifvorbehalt vorzuschreiben und dem Antrag der Sozialpartner zu folgen, die Branche in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen und die tariflich vereinbarten Mindestlöhne als verbindliche Lohnuntergrenze zu verankern, die in keinem Fall unterschritten werden darf.
Außerdem die Dauer des Verleihs an einen Entleihbetrieb wieder zu begrenzen (z. B. auf 12 Monate), um die Übernahme in ein Arbeitsverhältnis beim Entleiher zusätzlich zu fördern.
Mindestlohn und Tarifsystem
Zur Stabilisierung des Lohnsystems schlagen wir vor, einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, der für alle Branchen, Tätigkeiten und Beschäftigtengruppen eine verbindliche Lohnuntergrenze einzieht. Und darüberhinaus den Sozialpartnern weiterhin die Möglichkeit zu bieten, auf der Branchenebene (höhere) tarifliche Mindestlöhne zu vereinbaren, die über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz auch für ausländische Konkurrenz, die auf dem deutschen Markt tätig wird, verbindlich sind.
Weitere Informationen: Das Gutachten in voller Länge auf der Seite des IAQ.